Sechs Qualitätsmerkmale:

Anlässlich der Bewerbung für den 1. Schweizer Schulpreis haben die Schülerinnen und Schüler zu den sechs vorgegebenen Qualitätsmerkmalen Essays geschrieben. Hier eine Zusammenstellung von Aussagen zu den einzelnen Bereichen.

Anmerkung: Die Schülertexte (kursiv) sind original und nur in der Rechtschreibung durch die Lehrpersonen verbessert worden. Die Zahl in der Klammer gibt jeweils die Jahrgangsstufe an.

1. Leistung

Pascal (7): «Bei einem Top of the week kann ich auch meine Stärken zeigen und dann, wenn ich das Top of gemacht habe, bekomme ich von den Mitschülern und vom Lehrer oder der Lehrerin eine Rückmeldung, wie der Vortrag war.»

Salome (9): «Was mich sehr beeindruckt, ist jeweils der Freitagnachmittag. In der Coaching-Gruppe besprechen wir Schönes, aber auch Negatives, wo noch viel Verbesserungspotential gefördert werden könnte. Die Schule Bürglen hat mich selbstbewusst und stark gemacht.»

Chantal (8): «Nicht alle Niveaus lernen gleich schnell und nicht den gleichen Lernstoff, aber in den verschiedenen Gruppen lernt jeder was. Das finde ich sehr praktisch, da steht man natürlich nicht so unter Druck und kann in Ruhe lernen.»

Carina (9): «Wir lernen auch wichtige Dinge fürs Leben wie Teamgeist, Hilfsbereitschaft, Selbstvertrauen (usw.), welche uns im sozialen Bereich weiterbringen. Genau diese Dinge unterscheiden uns von anderen Schulen.»

Top of the week: Reflexion und Präsentationstraining.

Angewendete Kernbegriffe Pädagogik

  • Top-of the week: wöchentliche Reflexion durch Präsentation
  • 100% Anschlussfähigkeit der Schülerinnen und Schüler: seit Jahren hat kein Schüler die Schule ohne Anschlusslösung verlassen
  • Eliteförderung Sportler / Fussball: Thurgauer Sport-Tagesschule und FCO Campus, Eliteschule des Ostschweizer Fussballs
  • Gleichwertigkeit der schulischen, sportlichen und musischen Leistungen
  • Projekt und Unternehmen: selbstständige Projektarbeit im 9. Schuljahr
  • Zeit- und Arbeitsplanung als Teil des Unterrichts
  • Rückmeldungen von ausgetretenen Schülern für das Lernen der Organisation
  • Leistungskurse im Rahmen der Nachmittagskurse für Begabte – kognitiv, sportlich, musisch

2. Umgang mit Vielfalt

Jacqueline (7): «Der Umgang unter den Schülern ist sehr gut. So ziemlich alle gehen miteinander freundlich, respektvoll und freundschaftlich um. Es gibt auch fast niemanden, der ausgeschlossen oder ausgestossen wird. Mädchen und Knaben können gut und ungezwungen miteinander umgehen und auch arbeiten. Obwohl sie vom anderen Geschlecht sind, gibt es viele, die untereinander gut befreundet sind.»

Andrea (8): «Bereits wenn man am Morgen in die Schule kommt und sehr müde ist, sieht man sehr viele lachende Menschen. Da sieht man schon, dass die Stimmung an unserer Schule sehr gut und sehr lustig ist. Auch wenn man eigentlich gar keine Lust auf Schule und keine Lust auf Lachen hat, begegnet man immer sehr fröhlichen Leuten und wird dann von der guten Laune angesteckt.»

Priscilla (8): «Also wenn in der Coaching-Gruppe alle Niveaus sind, finde ich es eigentlich sehr positiv, weil die besseren Schüler den schwächeren Schülern helfen können. Man kennt die verschiedenen Schüler dann besser und erkennt die Stärken und Schwächen voneinander und man beginnt sich zu akzeptieren. Mein Coach muss dann nicht nur mit sehr guten Schülern arbeiten, sondern mit den mittleren und schwächeren. Das bringt ihm Abwechslung.»

Carina (9): «Lachend schlendern meine Freundin und ich über den Schulhof. Bei einer Gruppe Schüler der siebten Klasse bleiben wir stehen. Freundlich grüssen wir sie und wechseln ein paar Worte mit ihnen. Einige kennen wir vom Skilager, andere von Freikursen oder sonstigen Anlässen. Das Verhältnis unter uns Schülern ist super. Jeder kennt jeden und wir alle respektieren uns. In den drei Jahren, welche ich an dieser Schule verbringen durfte, sah ich nie eine Schlägerei oder etwas Ähnliches. Der Zusammenhalt aller drei Jahrgänge wird durch Lager und Freikurse gefördert. So kommt es, dass ich mich auch nach der Schule oft mit Schülerinnen und Schülern der andern Jahrgänge treffe.»

Angewendete Kernbegriffe Pädagogik

  • Pädagogische Teams mit wöchentlichen Teamnachmittagen
  • Kooperatives Lernen – alle Lehrpersonen sind ausgebildet im Kooperativen Lernen nach Norm Green
  • Nachhaltige und systematische Vermittlung von Lernkompetenzen als Anliegen des ganzen Teams
  • Portfoliokonzept – Erarbeitung in gemeinsamen internen Weiterbildungen
  • Heterogener Unterricht – gemeinsam lernen wir mehr
  • Ausbildung der gemeinsamen Haltung zur Beurteilung (aktueller Weiterentwicklungsschwerpunkt)
  • Rückmeldungen von ausgetretenen Schülern für das Lernen der Organisation
  • Schulen lernen von Schulen – Initiierung einer Tagungsabfolge mit Schulen mit Lernlandschaften

3. Unterrichtsqualität

Luca (7): «Am Freitagachmittag haben wir ein Spiel gespielt mit Frau Schallenberg. Sie hat uns das Spiel erklärt. Ich musste als Kapitän mit meinen Matrosen einen See überqueren. Aber wir hatten kein Boot. Also sah ich ein paar Kissen auf dem Boden. Ich nahm alle Kissen und legte eines unter meinen Fuss und erklärte meinen Matrosen, dass der letzte, der auf dem Kissen steht, das Kissen festhalten und auf das zweite springen muss. Und so ging es immer weiter. Irgendwann hatte ich keine Kissen mehr. Also sagte ich, dass alle zu zweit auf ein Kissen drauf müssen. Ich bekam ein Kissen nach vorn und hab es nicht gut festgehalten, dann fiel es mir runter. Also mussten meine Matrosen zu dritt auf so ein Kissen. Nach längerer Zeit haben wir es geschafft. Weil wir das so gut gemacht haben, gab ich jedem Matrosen die Hand und sagte: ‹Gut gemacht›. Wir gingen alle ein bisschen verschwitzt zum Brunnen und tranken sehr viel Wasser. Ich fand diesen Freitagnachmittag sehr toll.»

Cécile (9): «In der Lernlandschaft steht uns mindestens eine Lehrperson für Fragen und Probleme zur Verfügung. Die Klassen sind in vier Gruppen eingeteilt und einer bestimmten Lehrperson zugewiesen, die zugleich diese coacht. Mit dieser Lehrperson hat man regelmässig Coaching-Gespräche, wo man zusammen bespricht, wo man steht und was für Ziele oder Probleme vorliegen. Die Beziehung zu meinem Coach ist ziemlich gut, denn er ist offen, und wenn er mir nicht weiter helfen kann, helfen auch gerne die anderen drei Lehrer des Teams weiter. Ich habe gesundheitliche Probleme, und so habe ich früher oft in der Schule gefehlt. Aber dadurch, dass die Lehrer einem ein wenig besser kennen, nicht nur einfach den Namen, helfen sie einem auch gerne den Stoff nachzuholen.»

Sinan (8): «In Bürglen zeigt man seine Stärken überall und die Lehrpersonen merken ziemlich schnell, welche Schwächen ein Schüler besitzt, aber sie wollen, dass der Schüler selbständig auf diese Schwachpunkte kommt. Wenn der Lernende seine Schwächen entdeckt hat, hat er zwei Möglichkeiten: Entweder sucht er das Gespräch mit seinem Lerncoach und sie finden gemeinsam einen erfolgreichen Lernweg, oder der Schüler versucht selber, das Problem zu lösen, was einen besonderen Eindruck macht, finde ich.»

Angewendete Kernbegriffe Pädagogik

  • Integration aller Schüler in die Schulform
  • Altersdurchmischte Nachmittagskurse
  • Kooperative Lernformen für das Lernen in der Vielfalt
  • Individuelle Betreuung des Einzelnen durch Coaching
  • Betreuungsspanne von 12 bis 15 Schülerinnen und Schülern für die Lehrpersonen (Kantonaler Durchschnitt: 20 Schüler/Lehrperson)
  • Auflösung der Klassen und der Typen – alle Schüler sind Sekundarschüler und werden ihren Stärken entsprechend gefördert
  • Schülerorientierte Lösungen im Bewusstsein der Problematik beim Übertritt in die Berufswelt (Mischprogramme, z.B. zwei Tage im Betrieb, drei Tage in der Schule; Anpassungen des Lehrplans; persönliche Arbeitspläne)
  • Projekt und Unternehmen, selbständige Projekte im 9. Schuljahr aus der Interessenwelt der Schüler
Projekt und Unternehmen: Präsentation der Arbeit vor 300 Personen.

4. Verantwortung

Geraldine (9): «Als Abschluss machen wir im 9. Schuljahr ein Projekt. Das Projekt stellen wir eigenständig in einer Gruppe oder alleine auf die Beine. Wenn wir nicht zwei Jahre lang gelernt hätten, wäre so etwas nicht möglich gewesen. Ich finde, wir werden sehr gut vorbereitet. Man lernt sich und sein Arbeitsverhalten kennen. Am Ende dieser drei Jahre kann ich ungefähr einschätzen, wie lange ich für einen Auftrag brauche. Ich bin produktiver und selbständiger geworden.»

Schüler in der Gesprächszone: Vertrauen der Lehrpersonen in die Schülerinnen und Schüler.

Chantal (7): «Ich habe an der Sekundarschule viel Verantwortung zu tragen. Zum Beispiel bei den Hausaufgaben muss ich immer schauen, ob ich alles eingeschrieben habe, dass ich am nächsten Tag nichts vergesse und dass ich das Material, das ich brauche, auch immer dabei habe. Und dann habe ich als Verantwortung auch noch ein Ämtli. Zum Beispiel ein Zimmer aufräumen, Pflanzen giessen und so. Dann gibt es an meiner Schule noch Schülerräte, die müssen auch Verantwortung tragen, dass wenn sie etwas machen wollen, das auch organisieren können und alles vorbereiten. Zum Beispiel die Schuldisco. Ohne Musik und ohne Getränke geht ja nichts, und deshalb muss man auch Verantwortung tragen.»

Jana (9): «Für die Nachmittage wird der Stundenplan von uns selber zusammengestellt. Wir können Kurse besuchen, die uns für das Berufsleben vorbereiten, oder wählen diejenigen, die unser Interesse wecken.»

Angewendete Kernbegriffe Pädagogik

  • Vertrauen der Lehrpersonen in die Schülerinnen und Schüler
  • Führen von Gästen durch Schülerinnen und Schüler
  • Projekt und Unternehmen als «Meisterstück» der Verantwortung
  • Selbständige Planung als Teil der Schülerarbeit
  • Schülerrat – Mitgestaltung des Schulalltags
  • Offenes Schulhaus
  • Schülerinnen und Schüler lernen von und miteinander – die Schule fördert das gemeinsame Lernen
  • Von Schülern geführter Pausenkiosk

5. Schulklima – Schulkultur

Lara (7): «Ein Coach ist dafür zuständig, seine Schüler zu unterstützen und zu betreuen. Wenn ich mal ein Problem habe (Noten, Privates usw.) kann ich, wenn ich will, mit ihm darüber sprechen. Am Freitagnachmittag trifft sich unsere Coaching-Gruppe wieder von halb zwei bis zehn Minuten nach vier Uhr. Oft machen wir mit Frau Schallenberg auch Spiele, die mit Teamarbeit zu tun haben und viel Spass machen.»

Yaara (7): «Unser Arbeitsplatz ist unser Zweit-Zuhause. Wir können den Arbeitsplatz so gestalten, wie wir möchten.»

Chiara (8): «Wie auch in anderen Schulen ist Zusammenhalt bei uns sehr wichtig. Nicht nur Freunde untereinander, sondern Schüler und Lehrer halten als ein ganzes Team zusammen. Weil wir alle sehr gut zusammenhalten, findet man hier wahre Freunde – Freunde fürs Leben.»

Angewendete Kernbegriffe Pädagogik

  • Lernlandschaft als Raum des Lernens, Lehrens und Lebens
  • Persönliche Arbeitsplätze für alle an der Schule
  • Präsenzzeiten für Schülerinnen und Schüler
  • keine Zwischenstunden
  • Teamarbeitszeit für Lehrpersonen 37 Stunden pro Woche
  • Klare Regeln und deren konsequente, vernünftige Umsetzung
  • Begegnung aller auf gleicher Augenhöhe im Bewusstsein der unterschiedlichen Rollen
  • Begleitung der Jugendlichen durch den Lerncoach
  • Vertrauen in die Lernenden und Interesse an Lernprozessen der Schüler
Carpe Diem – Seit Jahren die gleichen Buchstaben: kein Vandalismus, keine Gewalt, keine Massnahmen.

6. Schule als lernende Organisation

An der Sekundarschule Bürglen wurde vor 15 Jahren im Rahmen des Projekts zur Weiterentwicklung der Oberstufe im Thurgau (PROWO) eine Bewegung eingeleitet, die über die Einführung eines Lernraumes zur Entwicklung von Lernlandschaften führte. Der Lernraum wurde verwirklicht, um Schülerinnen und Schülern aus Klein-, Real- und Sekundarklassen gemeinsames Lernen zu ermöglichen. Die soziale Verbundenheit in den Klassen war jedoch so stark, dass Lernen über die Klassen hinaus kaum erkennbar wurde. Aus diesem Grund entschied sich das Team vor neun Jahren, die Klassenstrukturen aufzulösen und den Lernraum als gemeinsamen Lebens- und Arbeitsraum – als Lernlandschaft – zu nutzen. Das Lehrerteam stellte sich damit eine Aufgabe, bei welcher Lernen am Vorbild nicht möglich war.

Daher sind auf dem Weg zum heutigen Modell der Schule Bürglen vielfältige Erfahrungen gemacht worden. Vermeintlich gute Lösungen entpuppten sich als Umwege oder gar als Sackgassen. Die Summe der positiven Erkenntnisse, aber auch die aus Fehlern gewonnenen Chancen machen die Schule Bürglen zu dem, was sie heute ist. Im Vertrauen auf das Gelingen konnten neue Wege beschritten und so alte Trampelpfade verlassen werden.

Im Vertrauen auf das Gelingen mussten wir den Rahmen sprengen. Der Kanton Thurgau hat sein Volkschulgesetz 2007 jenen Schulen angepasst, welche den gesetzlichen Rahmen gesprengt haben. Unsere Sekundarschule Bürglen war eine dieser Schulen.

Angewendete Kernbegriffe Pädagogik

  • Wöchentliche Sitzung der pädagogischen Teams
  • Interne Evaluationskultur (Ehemalige / Schüler-Befragung)
  • Acht pädagogische bzw. didaktische Nachmittage
  • Austausch mit den Eltern «im Gespräch mit der Schulleitung»
  • Nutzen von persönlichen Ressourcen jegliche Art für entwickelnde Arbeitsgruppen
  • Vorgaben zur Weiterbildung durch die Schule (kooperatives Lernen, Ausbildung zum Lerncoach) und Unterstützung der individuellen Weiterbildung
  • Jedes pädagogische Team wird durch eine externe Person gecoacht
  • Schulen lernen von Schulen – Initiierung einer Tagung für Schulen mit Lernlandschaften