Lernverständnis der Draussenschule: Die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler wird zum Lerngegenstand gemacht:

Das Lernverständnis der Draussenschule hat sich an der Schule Zeihen – auf Grundlage verschiedener Lernprozesse, Erfahrungen und Unterrichtssituationen - im Lauf der Zeit entwickelt und geschärft. Dieser Prozess gestaltet sich bis heute dynamisch und ist keinesfalls abgeschlossen. Im Kern macht die Draussenschule die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zum Lerngegenstand und löst zentrale Anforderungen an einen kompetenzorientierten Unterricht ein.

Lebensweltbezug

Das Lernen in der Draussenschule fokussiert in erster Linie eine aktive Auseinandersetzung mit der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Im Kindergarten und in der Primarschule (Zyklus 1 und 2) beschränkt sich dieser Lebensweltbezug im Wesentlichen noch auf die eigene Wohngemeinde, in einer grösseren Stadt vielleicht auf das eigene Quartier. Hier ist das soziale, gesellschaftliche und schulische Leben der Kinder verortet: Das eigene Zuhause, das Familienleben, die Schule, die Freunde im Quartier, der Sportverein, die Musikschule, der Pausenplatz, die Chatbekanntschaften aus den sozialen Medien. Natürlich ist die Lebenswelt der Kinder ausserhalb des Dorfes nicht inexistent. Es gibt sicherlich Bezüge zu anderen Ortschaften, Regionen und Räumen: der Wohnort der Grosseltern, das Shoppingcenter in der nächstgrösseren Stadt, eine befreundete Familie im Nachbarsdorf. Doch diese Orte sind gewissermassen als Satelliten zur eigentlichen Lebenswelt zu verstehen. Die Lebenswelt – im Falle unserer Schülerinnen und Schüler das Dorf Zeihen – zeichnet sich durch eine vernetzte Komplexität aus. Schule, Familie, Freizeit und Freunde sind soziale Netze die eng miteinander verwoben sind und erst in dieser Komplexität ein Gefühl von «Hier bin ich zuhause» hervorbringen.

Ausgangslage für einen kompetenzorientierten Unterricht

Die Draussenschule macht die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zum Lerngegenstand und löst zentrale Anforderungen an einen kompetenzorientierten Unterricht ein: z.B. Nutzen von authentischen Situationen, am Vorwissen/ an den Erfahrungen der Lernenden anknüpfen, Möglichkeiten zur inhaltlichen Mitbestimmung eröffnen, individuelle Lernwege verfolgen, Förderung der Selbstwirksamkeit, usw. Auch der Lehrplan nimmt an mehreren Stellen Bezug zu dieser «Lebenswelt» der Lernenden. Im Folgenden ausgewählte Beispiele:  

  • Grundlagen, Bildungsziele, Bildung: «Bildung befähigt zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebens­führung, die zu verantwortungsbewusster und selbstständiger Teilhabe und Mitwirkung im gesellschaftlichen Leben in sozialer, kultureller, beruflicher und politischer Hinsicht führt.»
  • Grundlagen, Bildungsziele, Schule als Gestaltungs-, Lern- und Lebensraum: «Für die Kinder und Jugendlichen stellt die Schule einen prägenden Teil ihres Alltages dar. Hier machen sie vielfältige Lern- und Lebenserfahrungen, die auf ausserschulisch erworbenen Erfahrungen aufbauen.»
  • Grundlagen, Bildungsziele, Fachbereiche, Natur, Mensch, Gesellschaft: «Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der Welt in ihren natürlichen, technischen, historischen, kulturellen, sozialen, ökonomischen, ethischen und religiösen Dimensionen mit ihren je eigenen Phänomenen und Prozessen auseinander. Sie erweitern ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, sich in der Welt zu orientieren, diese immer besser zu verstehen, sie aktiv mitzugestalten und in ihr verantwortungsvoll zu handeln.»

Vier Handlungsfelder im Umgang mit der Welt

Die Draussenschule eröffnet Lerngelegenheiten, Übungs- und Erfahrungsräume, die auf eine Befähigung der selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung in dieser Lebenswelt der Lernenden abzielen. Im Sinne der vier Handlungsfelder des Fachbereichs «Natur, Mensch, Gesellschaft» im Aargauer Lehrplan setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrer alltäglichen Welt aktiv auseinander.

  • Die Welt wahrnehmen: Die Lernenden nehmen ihre Welt (das Dorf, die Natur, die Menschen, die lokale Wirtschaft und das kulturelle und gesellschaftliche Leben) wahr. Sie drücken eigene Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erfahrungen aus und entwickeln dabei Neugier und Interesse an der Welt.
  • Die Welt erschliessen: Die Lernenden erkunden und erschliessen soziale, kulturelle und natürliche Situationen und Phänomene in ihrer Welt. Sie stellen Fragen, recherchieren und erkunden die Welt aus verschiedenen Perspektiven. Sie erweitern dadurch schrittweise ihre Kenntnisse und Erkenntnisse.
  • Sich in der Welt orientieren: Die Lernenden stellen zwischen Phänomenen, Situationen und Sachen in ihrer Welt Zusammenhänge her. Dabei strukturieren und vertiefen sie ihre Erkenntnisse und entwickeln sachbezogene Konzepte. Sie gewinnen zunehmend Orientierung in der Welt, ausgerichtet auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen.
  • In der Welt handeln: Die Lernenden handeln in ihrer Welt reflektiert. Sie setzen Erkenntnisse kreativ und konstruktiv um, wirken an der Gestaltung ihrer Umwelt mit und übernehmen Mitverantwortung für sich selbst, für die Gemeinschaft und für die Gesellschaft. Dabei werden auch Eigenständigkeit, Dialogfähigkeit und Zusammenarbeit mit Blick auf ein kompetentes und zukunftsorientiertes Handeln in der Welt gefördert.

Praxisbeispiel 1: Feuersalamander

Lern-/ Unterrichtssituation:

Auf einer Quartierstrasse entdecken die Lernenden aus der Mittelstufe beinahe 20 totgefahrene Feuersalamander – wohlgemerkt eine gefährdete Tierart. Die Betroffenheit ist gross – der Tatendrang noch grösser: Die Schülerinnen und Schüler bauen Warnschilder, kontaktieren die Quartierbewohner, kreieren einen Informationsflyer und präsentieren die Problematik der Schulhausversammlung. Eine erste Rettungsaktion! Nach den Herbstferien wird die Thematik vertieft und zum Unterrichtsgegenstand gemacht. Die Lehrpersonen stehen in Kontakt mit Naturschutzorganisationen. Schliesslich gilt es viele Fragen zu klären, die die Kinder aufs Tapet bringen: Weshalb sind gerade jetzt so viele Tiere unterwegs? Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Weshalb gibt es bei uns so viele Feuersalamander? Was mögen sie an Zeihen? Weshalb sind sie gefährdet? Wie können wir diese Tiere im Quartier nachhaltig schützen?

  • Die Welt wahrnehmen: Die Schülerinnen und Schüler beobachten und erkennen einen Missstand in ihrem Dorf. Persönliche Betroffenheit macht sich breit.
  • Sich die Welt erschliessen: Die Schülerinnen und Schüler formulieren Fragen und Vermutungen betreffend den Verhaltensweisen und Lebensbedingungen der Feuersalamander in ihrem Dorf.
  • In der Welt handeln: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Lösungsansätze wie man dem Problem begegnen kann (Informationsflyer, Warnschilder, usw.). Eine erste Intervention wird umgesetzt (Warnschilder).

Praxisbeispiel 2: Dorfbach

Lern-/ Unterrichtssituation:

Die Lernenden im Kindergarten setzen sich während mehreren Wochen mit dem Dorfbach auseinander: Was unterscheidet den Bach von einem Weiher? Weshalb sieht man den Bach im Dorf an gewissen Stellen nicht? Wie findet das Wasser seinen Weg? Was macht der Mensch mit dem Gewässer? Die Kindergartenklasse folgt dem Bachverlauf durchs Dorf, dokumentiert und diskutiert die Beobachtungen und baut im Kindergarten ein eigenes Bach-Modell.

  • Sich die Welt erschliessen: Die Kinder erkunden den Weg des Dorfbachs. Sie stellen Fragen und Vermutungen zu Phänomenen, die sie beobachten (z.B. Weshalb sieht man den Bach im Dorf an gewissen Stellen nicht?).
  • Sich in der Welt orientieren: Die Kinder bauen ein eigenes Bachmodell, in dem sie die Erkenntnisse aus den Beobachtungen, Vermutungen und Gesprächen verarbeiten.